1945 bis 2020, 75 Jahre Jugend am Werk

  • Portraits von Zeitzeuge Herbert Vlk und Archivaufnahmen vom September 1945 © Kollektiv Fischka/fischka.com und Archiv Jugend am Werk

Heute vor 75 Jahren, am 1. Juni 1945, wurde die Organisation Jugend am Werk in Wien gegründet - und wir haben einen Zeitzeugen interviewt.

Am 1. Juni 1945 gründete die Stadt Wien im Rahmen der Magistratsabteilung 11 (Jugendamt) „Jugend am Werk“, um jungen Menschen den Übergang zwischen Schule und einer passenden Lehr- oder Arbeitsstelle zu ermöglichen. Finanzielle Unterstützung gab es vom Bundesministerium für soziale Verwaltung, dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, der Gewerkschaften der Metall- und Bergarbeiter sowie der Bau- und Holzarbeiter, der Kammer für Arbeiter und Angestellte und der Kammer der gewerblichen Wirtschaft. Mittels Flugblättern und im Radio ergingen Aufrufe an die Jugendlichen und deren Eltern, sich bei den zahlreichen Beratungsstellen der Aktion „Jugend am Werk“ zu melden.

Die Jugendlichen wurden als Erntehelferinnen und Erntehelfer, aber auch für Aufräumarbeiten in zerstörten Gebieten eingesetzt. Herbert Vlk, geboren am 8. Mai 1931, ist ein Zeitzeuge der damaligen Ereignisse. Jugend am Werk traf Herrn Vlk am 18. Mai 2020 zum Interview.

Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Zeit. Wir waren alle völlig abgestumpft, denn durch die ständigen Bombenangriffe war der Anblick von toten Menschen und zerstörten Gebäuden fast alltäglich. Ich war noch keine 14 Jahre alt und wurde zwischen den Hochbunkeranlagen im Augarten als Funker eingesetzt. Wir mussten Funksprüche übermitteln und als die Rote Armee den Angriff auf Wien startete, sollten wir zum Volkssturm eingesetzt werden. Unser Kommandant hat uns dann zusammengerufen und gesagt: „Burschen, gehts nach Hause!“ Das hat uns das Leben gerettet.

Mit meiner Familie war ich 14 Tage im Keller, aber weil ich zwei kleine Schwestern hatte, bin ich immer wieder rausgegangen, um Lebensmittel zu organisieren. Da war nur mehr Chaos und die SS hat wahllos auf Menschen geschossen, die Lebensmittel weggetragen haben. So etwas prägt einen ein Leben lang und deshalb ist es so wichtig, diese furchtbare Zeit niemals zu vergessen und dafür zu sorgen, dass Nationalsozialismus und Krieg nie wieder passieren.

Anfangs war überall Chaos, aber wir waren einfach nur froh, überlebt zu haben. Im August 1945 habe ich mich dann beim Arbeitsamt für Jugendliche der Stadt Wien im dritten Bezirk am Esteplatz gemeldet. Eigentlich wollte ich eine Lehre als Fleischhauer beginnen, aber da hieß es nur, dass man niemand braucht. Es gab ja kaum frisches Fleisch. Dafür wurde ich gefragt, ob ich mit Hacke und Schaufel umgehen kann und ich sollte mich bei „Jugend am Werk“ in Ottakring in der Liebhartsgasse melden. Dort war eine Meldestelle für Jugendliche und wir wurden in Gruppen eingeteilt.

Dann ging es zu einem kleinen Park, dem Josef-Strauß-Park in der Kaiserstraße in Wien-Neubau – wobei das damals kein Park mehr war, sondern eine Wüste aus Geröll und Schutt. Wir waren insgesamt so etwa 10 Jugendliche und haben die Wege erneuert, Splittergräben zugeschüttet, Schutt und Gestrüpp entsorgt und den Park wiederhergestellt. Es gab ein kleines Taschengeld, aber das wichtigste war, dass es für uns eine Aufgabe und Beschäftigung und vor allem ein warmes Mittagessen gab. Wir waren ja alle ausgehungerte Burschen. Später ging es auf den Schafberg in Wien-Währing. Dort war ein ehemaliges Kriegsgefangenenlager mit Baracken und wir haben das als Jugenderholungslager umgebaut.

Zwischendurch bin ich immer wieder aufs Arbeitsamt gegangen und im Oktober erhielt ich die Möglichkeit, eine Ausbildung als Kürschnerlehrling zu beginnen. Kurze Zeit später absolvierte ich meine Ausbildung als Bäcker, dann als Tischler, arbeitete als Werkstättenleiter am Theater an der Wien und später in der Gebäudeüberwachung und als Sicherheitsmann bei Geldtransporten. Ich hatte also ein bewegtes Leben, und Jugend am Werk hat mir am Beginn sehr geholfen.

Es ist beeindruckend, was aus der Jugendaktion „Jugend am Werk“ mittlerweile geworden ist. Und ich stehe jetzt hier wieder im Josef-Strauß-Park zum ersten Mal seit 75 Jahren und bin überwältigt, wie schön der Park ist. Ein bisschen stolz bin ich schon darauf, dass wir Burschen im Herbst 1945 den Grundstein dafür gelegt haben
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